Auf sehr ernste Weise beginnt der Film «Der geringste Widerstand», ein gutgemeinter, streckenweise ungegenständlicher Farbfilm von Peter Fischli und David Weiss: Der noch ganz verträumte und verschlafene Bär bekommt einen Anruf von seinem Freund, der Ratte, die ihm aufgeregt aus einem Zeitungsartikel vorliest: «Jetzt hör mal, was hier steht: Zunehmende Gewalt in der Kunstwelt; … Bandenkrieg … Prügeleien … Enormer Sachschaden in der Höhe von … Besonders wird verdächtigt N.G. aus R., dessen aufwendiger Lebensstil schon viele arme Leute geärgert hat … Verschiedene Quellen vermuten, dass die herrschende Langeweile in der Kunstwelt die Ursache der Gewalttätigkeiten ist.»
«Was soll dieser Unsinn?» fragt der Bär, und die Ratte entgegnet ihm: «Aber verstehst du nicht? Dem Zielreichen gehört die Welt. Wir gehen in die Kunstwelt, da scheint was los zu sein – Action – Kultur – Geld!»
Etwas später treffen sich die beiden auf einer Freeway-Brücke. «Gibt es Arbeit?» fragt der Bär. «Nein, Geld», antwortet die Ratte, und auf den Einwand des Bärs «Wie denn?», fragt sich die Ratte selbst: «Mit … Betrug? … In der Kunstwelt… Wir kassieren grausam und machen’s wie die anderen. Nur viel besser. Davon verstehen wir zwar nichts, aber das wird sich ändern … Wir machen ein Bildungsreisli.» Das ‘Bildungsreisli’, welches die beiden kurzentschlossen, aber mit reichlich dubiosen Beweggründen antreten, erfüllt alle ‘erzieherischen’ Ansprüche und führt sie schnell in die kühle Atmosphäre einer schicken Galerie, wo mitten unter ‘interessanten’ modernen Skulpturen unvermutet ein Toter gefunden wird.
Der Bär, der sich noch kurz davor ziemlich klare Vorstellungen vom Umfeld der Kunst machen konnte («… ein geschmackvolles Leben, mit Stil und Eleganz, Freundschaften, Reisen, Theater, Tanz und Tennis»), ist angesichts des Verbrechens leicht verunsichert. Doch der Ratte ist es sofort klar, dass man gerade über einen solchen Toten irgendwie Zugang finden könnte zur Welt von Schönheit und Stil und bemerkt zuversichtlich: «Wir werden die Mittelpunkte der ganzen Oberschicht.» Zusammen brechen sie auf in die Oberschicht, die Ratte mit ihrem etwas unangenehmen Nagetierprofil und dem liebenswürdigen plumpen Körper und der Bär mit seiner leicht schmuddeligen Eleganz und dem gewandten Auftreten. Respektlos, in einer umwerfenden Mischung aus Naivität und frecher Schlauheit macht sich das ungleiche Paar über falsche Wahrheiten und wahre Falschheiten des Lebens im allgemeinen und des Kunstlebens im besonderen her und versucht, die Probleme an der Wurzel zu fassen.
Die Sprüche, mit der Ratte und Bär um sich schlagen, befinden sich fast immer auf der Grenze zwischen unendlicher Weisheit und tiefster Trivialität, tragen immer eine Spur Sokrates und einen Hauch von Biertisch. Zuweilen kommen diese Sätze wie vom Fliessband, etwa als der Bär meint, man könne nicht ein grosser Künstler und ein Detektiv zugleich sein und die Ratte sich geradezu akrobatisch dagegen wahrt: «Erstens bin ich ein grosser Romantiker und zweitens geht das bestens zusammen. Ich glaube an die Schönheit und die Wahrheit.
Auf der Leinwand des Lebens ist der Polizist der Pinsel. Die Justiz ist der gute Geschmack des Polizisten. Ein ungelöster Fall ist wie eine leere Leinwand. Was für den Polizist die Pistole, ist dem Künstler der Radiergummi.»
«Schönheit und Gerechtigkeit haben nichts miteinander zu tun. Ich habe gesprochen. Auf Nimmerwiedersehen, Spinner», kann da der Bär nur antworten und die Ratte über Wahrheit und Schönheit weiterdenken lassen. In die Schreibmaschine buchstabiert sie: «Schönheit und Wahrheit, Doppelpunkt. Schönheit ist nicht immer wahr und Wahrheit nicht immer schön, Komma, leider.»
Inspiriert durch ein verführerisches Erlebnis am Swimmingpool der reichen Künstler, begegnen Ratte und Bär dann schliesslich der ersehnten Schönheit. Da hat ihnen eine sexy-hauchende Frauenstimme zugeflüstert: «lch bin das gepflegte Leben, die Eleganz, du kennst mich gut, ich bin der Rausch und die Ekstase, aber auch das Ausschlafen und das Liegenbleiben. Ich bin die Schönheit und der Stil, ich bin die Zeit, die zur Verfügung steht, das Freibier im Quartier, ich bin der Champagner aus dem Damenschuh, ich bin der Napf aus dem du frisst, ich bin die Freiheit, mit der du spielst, ich bin der geringste Widerstand.» Durch diese Stimme motiviert, wollen sie nun selbst Künstler werden. Doch nur in der reinen Imagination ‘verwirklicht’ sich der Traum, in einer rauschhaften, ’streckenweise ungegenständlichen’ Flut von fremden und eigenen Bildern, die ihnen bei einer Fahrt auf dem Sunset Boulevard entgegenfliegt und die den eigentlichen Höhepunkt des Films bildet.
Aber die Imagination kollidiert mit den harten Realitäten; Ratte und Bär begreifen, dass ihre Wünsche in dieser verkommenen Kunstwelt nicht erfüllt werden, und so endet ihr ‘Bildungsreisli’ bei der zweck- und objektfreien philosophischen Wissenschaft. Konzentriert am Schreibtisch arbeitend, beginnen sie die Totalität der Schöpfung zu verstehen und in komplexen Diagrammen festzuhalten.
Auch wenn die beiden, die sich als Künstler, Detektive und Wissenschaffler versucht haben, kurz darauf in einer unerwartet scharfen Wendung wieder aus dem Höhenflug des Geistes auf den Boden der Geldgeschäfte zurückkehren, steckt auch in diesen grossen geistigen Gebärden wieder Banalität und Weisheit zugleich, und mehr noch: Was hier gesagt wird, ist konkreter Hinweis auf die künstlerische Arbeit von David Weiss und Peter Fischli, auf ihre Projekte in der Ausstellung von Winterthur.
Patrick Frey
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors, aus: Das Geheimnis der Arbeit. Texte zum Werk von Peter Fischli & David Weiss, herausgegeben von Patrick Frey, München und Düsseldorf, 1990, pp. 16, 19
© 2000 Kunstverlag Ingvild Goetz GmbH, Sammlung Goetz, Autoren, Künstler
Kurzfilm, CH 1981, 30′, S-8 blow-up 16mm
Regie
Peter Fischli, David Weiss
Originalversion: Deutsch
Produktion
Peter Fischli
David Weiss
T&C Film Zürich
Weltvertrieb
T&C Edition Zürich