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Gedanken des Regisseurs Christoph Schaub zu seinem Film (1999)

Der Film «Die Reisen des Santiago Calatrava» ist der vorläufige Schlusspunkt einer Reihe von vorhergegangenen filmischen Arbeiten über Architektur, die von kürzerer Länge waren. Ich habe in diesen Filmen Bauwerke genauer angeschaut und ich habe mich mit unterschiedlichen Architekten auseinandergesetzt. Ich war dabei fasziniert von der eminent filmischen Herausforderung, dem zweidimensionalen Medium Film die dritte Dimension abzuringen; ein Bauwerk als plastisches, vom Architekten entworfenes Ereignis zu erzählen und dann im täglichen Gebrauch zu zeigen: wie findet Leben und Emotion darin statt? Aber auch das Bauwerk in verschiedenen Zuständen zu erzählen: wie verändert das Licht einen Raum? Auf welche Art soll man den Raum durch die Wahl der Töne interpretieren?
Ich hatte nach diesen kurzen Arbeiten Lust auf mehr. Als mich dann der Produzent Marcel Hoehn angefragt hat, ob ich Interesse hätte, über das Werk von Santiago Calatrava einen langen Film zu machen, zögerte ich deshalb nicht lange. Denn mir war klar: einen Film über Santiago Calatravas Werk zu drehen, heisst, konfrontiert zu sein mit sehr vielen Aspekten und Arbeits-disziplinen, die einem architektonischen Ereignis zu Grunde liegen können.
Santiago Calatrava unterscheidet sich von anderen bekannten Architekten durch seine Doppel-begabung als Ingenieur und als Architekt, durch sein markantes Interesse an plastischen Arbeiten, durch seine Neigung zur Malerei und durch seinen Ehrgeiz, architektonische Parameter neu zu definieren. So war für Marcel Hoehn und für mich schnell klar, dass es ein Film werden sollte, der sich hauptsächlich mit Calatravas Arbeit befassen sollte. Persönliche und biographische Bezüge sollten nur dort zum Tragen kommen, wo sie für das Verständnis seiner Arbeit nützlich sind. Der Film sollte Calatravas Werk von innen her verstehen helfen: nicht der Blick von Aussen, sondern eine werkimmanente Betrachtung war anzustreben. Sehr bald habe ich Santiago Calatrava kennengelernt: in mehreren Treffen in seinem Zürcher Büro, in seinem zweiten Wohnort Paris und auf einer längeren Reise zu Baustellen in Spanien und Portugal. Ich lernte Calatrava als einen Menschen kennen, der als Berufsmann geradezu verschwenderisch mit seinen Überlegungen, Spekulationen und Meinungen umgeht und ein breites Geflecht von Querbezügen innerhalb der verschiedenen Sparten herstellt: Architektur, Ingenieurwissenschaften, Kunst und Politik – spontan, impulsiv und immer wieder unerwartet in seinen Theorien und Überlegungen.
Über 20 Stunden Material haben wir allein mit Santiago Calatrava gedreht und mir war ein bisschen Bange: wie kann ich Ordnung schaffen? Wie finde ich den roten Faden? Doch nach eingehender Sichtung und Analyse des gedrehten Materials kam schneller als gedacht Ordnung in die Dinge. Die Gedanken gruppierten sich um bestimmte Kerne, fügten sich so zueinander und fanden auch in den verschiedenen Phasen seines Werkes ihren Ausdruck. Dies half, die Struktur des Filmes zu finden.
Neben vielen Gesprächen mit Santiago Calatrava haben wir ihn auch auf verschiedenen Reisen zu Baustellen, zu seinem Büro in Valencia und zu zukünftigen Bauherren begleitet. Wir wollten herausfinden, wie dieser Berufsalltag aussieht und haben uns mit einer leichten DV-Kamera an Santiago Calatravas Fersen geheftet, uns bestimmen lassen von seinem Rhythmus, nur beobachtet, nicht eingegriffen: Die laute und staubige Welt der Grossbaustellen, Calatrava hektisch und gleichzeitig konzentriert im Gespräch mit den Mitarbeitern. Diese Bilder sollten dem fertigen Film einen eigenen Herzschlag geben, einen heftigen Kontrast herstellen zu den ruhigen, tableauartigen Bildern der gefilmten Architektur, die wir auf Film gedreht haben. Es sind nicht nur die verschiedenen Bildträger (Super-16mm und Video-DV), die dieses Spannungsfeld filmisch umsetzen, sondern auch die unterschiedlichen Montagetechniken und der unterschiedliche Umgang mit dem Ton.
Mich interessierte aber auch das Spannungsfeld zwischen einem unfertigen, erst im Entstehen begriffenen Bauwerk – sei es als architektonische Idee, sei als Baustelle – und dem fertigen Bauwerk, welches einfach dasteht und selbstverständlich benützt wird, ohne dass der Architekt noch gebraucht wird: Die Unruhe des Werdens in Wechselwirkung mit der Ruhe des Seins.
Wenn wir die Möglichkeit haben, einmal von beiden Seiten schauen zu können, verstehen wir vielleicht unsere urbane, architektonische Umgebung, in der wir uns täglich so selbstverständlich bewegen, mehr als ‘gemacht‘ und nicht mehr einfach als ‘gegeben‘.

Dokumentarfilm, CH 1999, Farbe, Video/S16/35mm, 77′

Regie Christoph Schaub

Originalversion: Deutsch, Französisch, Spanisch